Psyche

Auswirkungen auf die Psyche

Die unmittelbaren Folgen dieser Komplikationen sind bei Müttern und Vätern oft psychischer Natur. Traumafolgestörungen sind nicht nur nach frühen Gestosen häufig, auch nach spät einsetzenden Erkrankungen können sie auftreten. Besonders oft treten sie auf, wenn die Babys längere Zeit auf der neonatologischen Station bleiben müssen oder wenn die Babys die Schwangerschaft oder die Zeit danach nicht überleben. Dabei hängt das Ausmaß des psychischen Traumas nicht mit der objektiven Belastung der Familienmitglieder zusammen, sondern mit dem persönlichen Erleben des traumatisierenden Ereignisses und den persönlichen Verarbeitungsmöglichkeiten der Betroffenen.

Viele Mütter und Väter berichten, dass sie in der ersten Zeit nach der Diagnose oder nach der Entbindung wie erstarrt waren und keinen klaren Gedanken fassen konnten. In dieser Phase ist es ihnen auch nicht möglich, den Erklärungen der behandelnden Ärzt_innen zu folgen und deren Ausführungen zu verstehen. Man spricht hier von einer akuten Belastungsreaktion auf ein traumatisches Ereignis, die mit einem Gefühl der inneren Leere oder der Betäubung beginnt und dann in Gefühle wie Angst, Panik, Hoffnungslosigkeit, Erschütterung, Verwirrung, Erregung und Hilflosigkeit übergehen kann. Damit verbunden können körperliche Symptome wie Schlafstörungen, Veränderungen des Appetits, Herzrasen, Schwitzen und Zittern sein. Eine Phase mit depressiven Symptomen kann folgen. Nicht alle Personen, die traumatische Erlebnisse zu verarbeiten haben, erkranken jedoch auch an Traumafolgestörungen wie einer Anpassungsstörung oder an einer posttraumatischen Belastungsstörung, in vielen Fällen klingen die Symptome
einer akuten Belastungsreaktion wieder ab. Wie gut das gelingt, hängt von der Resilienz (psychischen Widerstandsfähigkeit) der einzelnen Personen ab, von Vorbelastungen und nicht zuletzt davon, wie stützend das Umfeld (sowohl in der Klinik als auch im Freundes- und Familienkreis) erlebt wird.

Traumafolgestörungen

Nahaufnahme Frauenauge schwarz-weiss

Wenn Symptome wie eine anhaltende Bedrücktheit, Anspannung oder Angst nach dem belastenden Erlebnis über mehrere Wochen nach dem Ereignis bestehen, und wenn sich die betroffene Person davon erheblich eingeschränkt fühlt, spricht man von einer Anpassungsstörung. Anpassungsstörungen können als Reaktionen auf ein akutes, sehr bis extrem belastendes Ereignis auftreten, aber auch als Reaktion auf länger andauernde Belastungen, die vom Betreffenden als unlösbar und nicht kontrollierbar erlebt werden (wie der Aufenthalt des Babys auf der Frühgeburtenstation) und können mehrere Monate lang anhalten.

Die Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. des posttraumatischen Stresssyndroms (PTSD) sind drei wesentliche Symptomkomplexe: Intrusionen, Erregung, und Vermeidungsverhalten. Intrusionen sind plötzlich wiederkehrende, sich aufzwingende Erinnerungen, die nicht distanziert betrachtet werden können, sondern die sich für die betroffene Person so anfühlen, als würde sie das traumatische Ereignis wiedererleben. Sie werden auch als „Flashbacks“ bezeichnet, die durch Trigger wie Gerüche, den Anblick einer Person, die an Beteiligte des Traumas erinnern, ausgelöst werden können. Die Erregung im Rahmen des PTSD äußert sich als ständige Alarmbereitschaft, die auch nicht nachlässt, wenn sich die Betroffenen in Sicherheit fühlen. Betroffene versuchen oft, eventuellen Triggern auszuweichen. Das Vermeidungsverhalten führt dazu, dass die betroffenen Personen ihr Leben zusehends einengen und sich mehr und mehr zurückziehen. Die betroffenen Personen können sich kaum mehr freuen und haben oft Schwierigkeiten, selbst engen Familienangehörigen gegenüber Zuneigung und Zärtlichkeit zu empfinden, was wiederum zu starken Schuldgefühlen führen kann. Zusätzlich zur emotionalen Abflachung beginnen Menschen mit PTSD manchmal, ständig zu grübeln und sich Selbstvorwürfe zu machen, weil sie sich für das Ereignis verantwortlich fühlen, und Ängste und Ängstlichkeit werden ihr ständiger Begleiter.

Postpartale Depression

Ähnliche Symptome können im Rahmen einer (postpartalen) Depression bei beiden Elternteilen auftreten. Typisch dafür ist eine gedrückte Stimmung mit negativen Gedankenschleifen, oft gepaart mit Konzentrationsproblemen, emotionaler Abflachung (Freude und Lustempfinden sind eingeschränkt) und vermindertem Antrieb. Oft ist das Selbstwertgefühl vermindert, Schuldgefühle treten auf, die Empathie (das Einfühlungsvermögen) lässt nach und die betroffenen Personen fühlen sich erschöpft und nicht leistungsfähig. Unverarbeitete Erlebnisse rund um Schwangerschaft und Geburt können das Auftreten von postpartalen Depressionen begünstigen.

Wir raten dazu, sich rechtzeitig Hilfe zu holen und nicht damit zu warten, bis die Lebensqualität schon deutlich eingeschränkt ist. Zusätzlich zur professionellen Hilfe durch Psychiater_innen und Psychotherapeut_innen hat sich gezeigt, dass Information über die Erkrankung zu einer Selbstbemächtigung und Selbstermächtigung führt. Vor allem in Folgeschwangerschaften führen das Wissen über die Erkrankung und die selbstbewusste Einhaltung der vorbeugenden Medikation, aber auch der bewusste Einsatz der gezielten Ernährung und Salz- und Vitaminzufuhr zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit. Ohnmachts- und Schuldgefühle können so überwunden werden. Gerne leisten wir hier einen Beitrag, indem wir betroffene Frauen informieren und ihnen dabei helfen, die Geschehnisse besser zu verstehen und einzuordnen.

Depressive Frau

Trauer

Trauer ist keine psychische Störung. Sie ist eine normale Reaktion auf einen Verlust. Im Falle des Versterbens eines Babys vor, während oder nach der Geburt ist die Trauer der Eltern unvorstellbar und unermesslich groß. Es gibt viele unterschiedliche Definitionen für Trauer und verschiedene Trauermodelle; die Trauerreaktionen auf den Verlust eines Kindes sind aber schwer mit diesen Modellen zu erklären. Am ehesten noch ist die Trauer von verwaisten Eltern, die ihr verstorbenes Baby nach einer nur kurzen Zeit des Kennenlernens wieder hergeben mussten oder es vielleicht durch die Schwere der eigenen Erkrankung gar nicht sehen und berühren konnten, als Aufgabe zu verstehen, die Trauer als neue Form der Liebe und Beziehung zu ihrem Kind zu begreifen. Was vielen Eltern vor allem in den ersten Trauerjahren demnach oft hilft, ist es, als Eltern wahrgenommen zu werden und über ihr verstorbenes Kind sprechen zu können. Trauer kann durch Trost und Vermeiden des Ansprechens des Verlustes nicht vermindert oder abgemildert werden, sie kann von nahestehenden oder begleitenden Personen nur mitausgehalten und mitgetragen werden.